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Die Geburt Wilhelms II.Seite 2

Die größte Verantwortung fiel jedoch dem deutschen Arzt Professor Dr. Eduard Arnold Martin zu, der erst wenige Monate zuvor, im Wintersemester 1858, als Ordinarius für Frauenheilkunde und Geburtshilfe von Jena nach Berlin berufen worden war. Eduard Martin, einer der führenden Frauenärzte Deutschlands, hatte als erster Arzt in Deutschland 1848 die Chloroform-Anästhesie bei Kreißenden angewendet. Daß Martin bei der bevorstehenden Niederkunft der jungen Prinzessin Victoria hinzugezogen wurde, ist der "Beharrlichkeit" des Barons Christian Stockmar, des engsten Beraters der Queen Victoria und des Prinzgemahls Albert, zu verdanken.

Professor Johann Lucas Schoenlein, Leibarzt des regierungsunfähigen Königs Friedrich Wilhelm IV., soll sich ebenfalls für die Hinzuziehung Martins eingesetzt haben. Der 1793 geborene Schoenlein, eine der medizinischen Größen des 19. Jahrhunderts, war auch bei der Geburt anwesend, ohne jedoch eine aktive Rolle zu spielen.

Ungewöhnlich für die damalige Zeit war die Anwesenheit des jungen Ehemanns Fritz. Sein Brief vom 29. Januar 1859 an die Schwiegereltern in England vermittelt uns den besten Eindruck von der Situation im Kronprinzenpalais, als die Geburtswehen bei seiner gerade achtzehnjährigen Frau einsetzten. Er schreibt: «Nachdem Vicky bereits die letzten Tage vor dem 27. Schmerzen ungewohnter Art empfunden hatte, die uns mehrmalige falsche Alarmierungen brachten, empfand sie kurz vor Mitternacht in der Nacht vom 26. zum 27. heftige Schmerzen und bald auch Feuchtigkeit, so daß ich die Mrs. Innocent herbeirief, die alsbald zwar den Beginn mir leise mittheilte, jedoch Vicky rieth noch zu versuchen schlafen zu können; dies ging nicht mehr, da Obiges sich bald wiederholte, u. nun Sir James informirt u. zu Wegner wie Gfin. Blücher geschickt ward. Vicky zog sich warm an doch in Schlumpes, und ging mehrere Stunden auf und ab, bald, wenn die Schmerzen kamen, sich an uns oder an den Tisch krampfhaft haltend, und von Gfin. Perponcher, Blücher und mir unterstützt. Etwa um ½3 Uhr Nachts begab ich mich zu den Eltern ihnen den Beginn mitzutheilen, dann begab sich Vicky in´s Schlaf-Zimmer, das mittlerweile zur großen Entscheidung vorbereitet worden war, u. verging dann die Nacht abwechselnd auf der chaise longue oder gehend. Allmälig nahmen die Schmerzen zu, u. waren mit Tagesanbruch schon nicht mehr gering; etwa um 9Uhr legte sie sich zu Bett, gerade an der Stelle wo Papa geboren ward, und war es einige Zeit nachher, daß Dr. Wegner durch zufällige Untersuchung entdeckte, daß die Lage nicht die normalmaßigste war.» Bei dieser «zufälligen» Entdeckung wurde nun in aller Eile nach Professor Martin geschickt.

Durch einen Glücksfall traf der Lakai den Professor auf der Straße vor seiner Dienstwohnung in der Dorotheenstraße an, als dieser im Begriff war, zu einem gynäkologischen Vortrag in die Charité zu fahren. Der Lakai stürzte herbei mit der Frage, «ob der Herr Professor nicht kommen wolle?!» Im gleichen Moment wurde dem Frauenarzt mit den sonstigen Posteingängen ein blauer Brief überreicht, der um 8 Uhr mit der Morgen-Post eingetroffen war: Er enthielt die am Vorabend abgesandte Aufforderung des Prinzen Friedrich Wilhelm, Martin möge unverzüglich zu seiner Frau ins Palais kommen, da die Geburt wohl bald zu erwarten sei. Man muß hier fragen, was geschehen wäre, wenn der Prinz, anstatt die gewöhnliche Stadtpost zu gebrauchen, am 26. Januar abends einen Dienstboten zu Martin geschickt hätte. Dieser wäre dann vor dem Beginn der Geburtswehen eingetroffen und hätte sicherlich viel früher als Wegner die Steißlage - denn um eine solche handelte es sich - des Kindes festgestellt. Er hätte aber auch dann wenig ausrichten können. Eine äußere Wendung auf den Kopf - d. h. eine Wendung des Kindes durch Druck von außen, um es in die normale Lage zu bringen - gelingt in den letzten vier Wochen der Schwangerschaft nur selten und schon gar nicht, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Beine des Kindes über seiner Brust emporgeschlagen sind. Martin kam jedoch erst vier bis fünf Stunden nach dem Abgang des Fruchtwassers an, und eine Wendung nach dem Sprung der Fruchtblase ist unmöglich.

Martins «Bericht über die Entbindung Ihrer Königlichen Hoheit der Frau Prinzessin Friedrich Wilhelm Princess royal von Großbritannien» ist zwar erst am 9. Februar 1859 geschrieben worden, er dürfte aber zuverlässig sein: Erstens schrieb ihn der Arzt auf der Grundlage seiner Tagebuchaufzeichnungen, zweitens spielte sich der darin geschilderte Vorgang vor drei sachverständigen Zeugen ab - vor Clark, Wegner und Schoenlein. Laut diesem Bericht wurde Martin um zehn Uhr ins Palais gerufen. Er schreibt: «Ich fand um 10 ½ Uhr den Muttermund gegen 1½ Zoll im Durchmesser erweitert, jedoch gespannt, darin den rechten Hinterbacken der Frucht, den After nach links und hinten. Da die Wehen sehr schmerzhaft und doch wenig wirksam waren, [...] also eine krampfhafte Wehenstörung vorlag wurde der hohen Kreissenden gegen 11 Uhr eine gran Ipekacuanha gereicht. Nachdem hierauf einmaliges Erbrechen erfolgt war erschienen die Wehen etwas gebessert, jedoch noch sehr empfindlich; deßhalb empfahl ich mäßige Chloroform-Inhalationen, welche auch die hohe Erregung der Frau Prinzessin bald milderten. Dennoch klagte Ihre Königliche Hoheit so oft als die mäßige Betäubung nachließ, über ungewöhnliche heftige Schmerzen.»

Die starken Schmerzen der jungen Mutter werden eindrucksvoll von ihrem Ehemann geschildert. Nachdem Martin die Prinzessin untersucht hatte, bat ihn Fritz um rücksichtslose Aufklärung darüber, was zu erwarten sei. Martin erklärte, daß für Victoria keine eigentliche Gefahr vorhanden sei, wohl aber für das Kind. Fritz habe die Ärzte angewiesen, «daß nur an die Mutter zu denken sei, erhielt jedoch den Bescheid, daß es Ärztliches Trachten sei, Mutter und Kind zu erhalten». So bereitete sich der Prinz darauf vor, «ein todes Kind zur Welt kommen zu sehen». Eindringlich beschreibt er den jammervollen Zustand der Mutter, die von der Gefahr für ihr Baby nichts ahnte: «Immer heftiger wurden die Schmerzen u. das entsetzliche Schreien und Jammern Vicky´s, die jedoch stets wenn eine Pause eintrat, Alle um Verzeihung bat, daß sie so schrie oder Ungeduld zu zeigen schiene, allein sie könne nicht anders. Als nun die eigentlichen Stoß-Wehen begannen hatte ich mit aller Gewalt mich anzustrengen ihren Kopf so zu halten, daß der Hals sich nicht zu sehr ausdehnte wobei es bei jeder Wehe förmlich Kämpfe zwischen mir und ihr gab, so daß ich noch heute [29. Januar] meine Arme ganz erlahmt fühle. Zur Vermeidung des Zähneknirschens u. Beissens steckten wir ihr stets ein Schnupftuch in den Mund; zuweilen mußte ich ihr mit aller Gewalt die Finger aus dem Mund reissen, u. hielt ihr auch die Meinigen in den Mund. Mit Riesenstärke stieß sie zuweilen 2 Personen von sich, u. so steigerten sich die entsetzlichen Qualen bis die Entscheidung so nahe war, daß nun völlige Betäubung mit Chloroform vorgenommen ward. [... ] Vicky wurde nun quer in´s Bett gelegt; ein entsetzlicher langer Schrei, u. nun ward sie betäubt.»


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