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  Die Reichswehr

Nach dem Ersten Weltkrieg waren sich die siegreichen Entente-Staaten darin einig, das Deutsche Reich als möglichen Ausgangspunkt zukünftiger internationaler Konflikte militärisch zu neutralisieren. Mit Artikel 160 des im Juni 1919 verabschiedeten Versailler Vertrags beschnitten sie die deutsche Militärmacht - ehemals der Stolz des untergegangenen Kaiserreichs - erheblich. Das Landheer durfte 100.000 und die Marine 15.000 Berufssoldaten nicht überschreiten. Verboten waren die Unterhaltung von Luftstreitkräften, Panzern, schwerer Artillerie, U-Booten und Großkampfschiffen ebenso wie die Produktion und der Besitz von Giftgas. Der Generalstab, Kriegsakademien und Militärschulen mußten aufgelöst werden.
Im März 1921 legte ein deutsches Wehrgesetz für die ab 1919 als "Vorläufige Reichswehr" bezeichneten Streitkräfte den amtlichen Namen Reichswehr fest. Die Dienstzeit für Soldaten und Unteroffiziere betrug 12 Jahre, für Offiziere 25 Jahre. Vereidigt wurden sie auf die
Weimarer Verfassung. Oberbefehlshaber der Reichswehr war der Reichspräsident, unter dem der Reichswehrminister die Befehlsgewalt ausübte. Als höchste Soldaten vertraten ihn der Chef der Heeresleitung und der Chef der Marineleitung in der Ausübung der militärischen Kommandogewalt. Das Reichsheer gliederte sich in zwei Gruppenkommandos in Berlin und Kassel mit insgesamt sieben Infanterie- und drei Kavalleriedivisionen. In den Küstengebieten wurden zwei Marinestationskommandos für die Nord- und Ostsee geschaffen.
Von den 34.000 Offizieren, die am Ende des Ersten Weltkriegs in der kaiserlichen Armee dienten, durften nur 4.000 in die neue Reichswehr übernommen werden. Hervorstechend war dabei mit 50 Prozent der Anteil des Adels in der Generalität. Einem konservativen Weltbild verhaftet, vertraten sie größtenteils noch monarchische Ideen. Der demokratischen Ordnung der Weimarer Republik standen sie zumeist distanziert bis ablehnend gegenüber. Loyalitätskonflikte gegenüber der Republik wurden während des
Lüttwitz-Kapp-Putsches im März 1920 offenkundig. Die Reichswehrgeneralität verweigerte der Reichsregierung ihre Unterstützung gegen die Putschisten unter dem Kommando des höchsten Reichswehrgenerals Walther Freiherr von Lüttwitz. "Truppe schießt nicht auf Truppe", mit diesen Worten skizzierte der Chef des Truppenamts, General Hans von Seeckt, die Haltung der mehrheitlich mit den Putschisten sympathisierenden Reichswehrgeneralität. Keine Bedenken zeigte die Generalität hingegen, den während des Lüttwitz-Kapp-Putsches begonnenen linksgerichteten Märzaufstand in Sachsen und im Ruhrgebiet kompromißlos niederzuschlagen.
Der als Folge des Lüttwitz-Kapp-Putsches vollzogene Wechsel an der Spitze des Reichswehrministeriums von
Gustav Noske von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) auf Otto Geßler von der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) bedeutete den Rückzug der Sozialdemokratie aus der Militärpolitik. Gemäß der von General Hans von Seeckt - nunmehr Chef der Heeresleitung - vorgegebenen politischen Richtlinie verhielt sich die Reichswehr nach 1920 durchaus staatstreu. Unter Geßler und Seeckt vollzog sich eine "Entpolitisierung" der Reichswehr, die sich nicht in die innenpolitischen Auseinandersetzungen der Weimarer Republik hineinziehen lassen wollte. Zusammen mit dem Ausschluß der Reichswehrangehörigen vom Wahlrecht führte dies zu einer Distanzierung und Loslösung der Armee vom politischen System der Weimarer Republik. Die Reichswehr entwickelte sich so zu einem autonomen und kaum kontrollierbaren "Staat im Staat". Vor allem viele sozialdemokratische Politiker hegten daher ein tiefes Mißtrauen gegenüber der Armee, deren fortschrittsfeindliches Offizierskorps zudem zahlreiche Querverbindungen zu rechtsgerichteten Organisationen und Wehrverbänden wie dem Stahlhelm aufwies.
In Übereinstimmung mit der auch von der SPD mitgetragenen Reichsregierung bestand seit Anfang 1921 eine geheime Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und sowjetischer Roter Armee. Rüstungswirtschaftliche Kooperationen und die Ausbildung deutscher Soldaten an den durch den Versailler Vertrag verbotenen Waffengattungen der Luft- und Panzerstreitkräfte sollten der Reichswehr technisches Fachwissen garantieren. Ziel der Militärpolitik war der geheime Ausbau der Reichswehr zu einer modernen, schlagkräftigen Armee. Als im Dezember 1926 der ehemalige sozialdemokratische Regierungschef
Philipp Scheidemann in einer Reichstagsrede schonungslos den Umfang der geheimen deutsch-sowjetischen Rüstungskooperation offenlegte, führte dies zum Sturz des Kabinetts unter Reichskanzler Wilhelm Marx vom Zentrum. 1928 hatte sich die Große Koalition unter dem Sozialdemokraten Hermann Müller beim Streit um den Panzerkreuzerbau wiederum schwerer wehrpolitischer Stürme zu erwehren.
Eine enorme Rückenstärkung erfuhr die Reichswehr mit Beginn der
Präsidialkabinette im Herbst 1930. Die Machtkonzentration lag mit Hilfe des Notverordnungsrecht nun in den Händen von Reichspräsident Paul von Hindenburg, zu Weltkriegszeiten Chef der Obersten Heeresleitung (OHL). Zu seinen engsten Beratern gehörte General Kurt von Schleicher, seit dem Sturz Seeckts 1927 "starker Mann" in der Armee. Im Gegensatz zu Seeckt war Schleicher lebhaft an innenpolitischen Ereignissen interessiert und suchte Regierungsbildungen im Eigeninteresse des Militärs herbeizuführen. Neben der Ausschaltung linker politischer Kräfte galt dies vor allem hinsichtlich einer Revision des Versailler Vertrags und der Überwindung seiner Entwaffnungsvorschriften. Schleichers politisches Engagement und sein Amt als Reichskanzler endeten im Januar 1933 mit der Ernennung Adolf Hitlers zu seinem Nachfolger.
Die Haltung der Reichswehrführung gegenüber Hitler und der
Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) war zwiespältig. Erwartungsvoll erhofften sie eine neue Dynamik in der deutschen Außenpolitik im Hinblick auf die Revision des Versailler Vertrags. Mehr als mißtrauisch hingegen war das Verhältnis zur Sturmabteilung (SA), der auf vier Millionen Mitglieder angeschwollenen Parteiarmee der NSDAP. Der Stabschef der SA Ernst Röhm sah in ihr den Kern einer neu zu gründenden "Volksmiliz", der er auch die traditionsbewußte Reichswehr einverleiben wollte. Hitler, der die Reichswehr mit ihren erfahrenen Offizieren möglichst schnell zu einer kriegsfähigen Armee ausbauen wollte, beendete den militärischen Macht- und Konkurrenzanspruch der SA mit der Ermordung ihrer Führung während des sogenannten Röhm-Putsches im Juni 1934. Um auch zukünftig der Gunst Hitlers sicher zu sein, ordnete Reichskriegsminister Werner von Blomberg noch am Todestag Hindenburgs am 2. August 1934 die Vereidigung der Reichswehr auf die Person des "Führers und Reichskanzlers" an. Endgültig war die Reichswehr damit zu einem Machtinstrument des NS-Regimes geworden. Mit dem Gesetz zur Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht vom 16. März 1935 wurde die Reichswehr in Wehrmacht unbenannt.


Hans-Adolf Jacobsen, Die Reichwehr (1966)

Die Offiziere waren zutiefst in der monarchischen, zum Teil altpreußischen Tradition verwurzelt. Daher dienten sie dem neuen Staat nicht mit dem gleichen Enthusiasmus wie dem Kaiserreich. Weimar hatte ihre Jugendideale zertrümmert. Für die meisten von ihnen war die Republik lediglich "die Fortsetzung des Kaiserreichs mit anderen Mitteln"; Seeckt und seit 1925 Hindenburg galten als "Ersatzmonarchen". [...]
Die Offiziere, durch strenge Auslese als Elite in ihrer sozialen Struktur homogen gehalten, sahen in dem demokratischen Ordnungsgefüge und in der mangelnden Wehrbereitschaft vieler Gruppen einen nicht zu überbrückenden Widerspruch zu ihrer soldatischen Lebensform, die auf ständiger Einsatzbereitschaft, auf Befehl und unbedingtem Gehorsam beruhte. Das Getriebe des Parteien und des Parlaments, als "Krebsschaden der Zeit" apostrophiert, beobachteten sie teils mit Unbehagen, teils mit Verachtung. Für sie hatte die parlamentarische Monarchie wenig Anziehendes, zumal sie nichts von dem äußeren Glanz des Kaiserreichs bot. [...]
Die unpolitische Haltung der Reichswehr oder auch die parteipolitische Neutralität betraf in Wirklichkeit nur die unteren Dienstgrade. Die führenden Köpfe der Reichswehr, insbesondere Seeckt und Schleicher, entwickelten eine überaus ehrgeizige politische Aktivität, die sich auch in der Außenpolitik bemerkbar machte und am Ende der Republik zu dem Anspruch steigerte, im "politischen Leben Deutschlands dürfe keine Baustein mehr bewegt" werden, ohne daß das "Wort der Reichswehr ausschlaggebend in die Waagschale geworfen werde".

Quelle:...



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