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  Versailles war eine zu große Hypothek Ruin einer Republik von Klaus Hornung Historischen Analphabetismus" nennt der Historiker Alfred Heuß das mehrheitliche Verhältnis der heutigen Deutschen zu ihrer Geschichte in seinem trefflichen Buch "Vom Ruin deutscher Geschichte und ihres Verständnisses". Dieses Geschichtsbild ist auf die ominösen 1.000 = 12 Jahre zusammengeschrumpft, gewissermaßen "eingedämpft" worden, wenn nicht gleich auf "Auschwitz" und damit ohne jeden wirklichen Erklärungswert. Es ist schon so, wie Helmut Schoeck einmal gesagt hat: "Die heute in Politik und Medien tonangebende Generation ist historisch so ungebildet und verbildet wie keine mit der Hochschulreife ausgestattete Generation seit 1850. Sie kann mit den ersten 45 Jahren des 20. Jahrhunderts in den eigenen Köpfen nicht umgehen, glaubt aber ganz genau zu wissen, wie alle anderen, die damals lebten, hätten handeln sollen." Nach Versailles kam die Republik nicht zur Ruhe Das wird besonders deutlich an dem unserem Geschichtsbewußtsein entschwundenen Zusammenhang zwischen Hitlers Machtergreifung und dem Diktatfrieden von Versailles am 28. Juni 1919. Nicht nur der Vertragsinhalt, sondern auch seine Folgewirkungen sind heute weitgehend unbekannt, die direkt zum 30. Januar 1933 führten. Unbekannt ist daher auch der breite Konsens unter den deutschen politischen Kräften von der deutschnationalen Rechten über Zentrum und Deutsche Demokratische Partei bis zur SPD, ein Konsens, der einer tiefen Verletzung der patriotischen Gefühle besonders durch die Festschreibung der sogenannten deutschen Alleinschuld am Krieg entsprang. Schon bei der Entgegennahme der Vertragsbedingungen hatte der Reichsaußenminister Graf Brockdorff-Rantzau Auge in Auge mit Clemenceau, Wilson und Lloyd George dem Ausdruck gegeben: "Wir kennen die Wucht des Hasses, die uns hier entgegentritt. Es wird von uns verlangt, daß wir uns als die allein Schuldigen am Krieg bekennen; ein solches Bekenntnis wäre in meinem Munde eine Lüge." Reichskanzler Philipp Scheidemann (SPD) gab in einer flammenden Rede vor der Nationalversammlung in der Berliner Universität am 12. Mai 1919 seiner Empörung gegen diesen "Mordplan" Ausdruck. Welche Hand müsse nicht verdorren, die ihn unterschriebe. Scheidemanns "Unannehmbar!" entsprach der Meinung der großen Mehrheit des deutschen Volkes. Der spätere preußische Ministerpräsident (1921–1932), der Sozialdemokrat Otto Braun, nannte die Alleinschuld Deutschlands "die größte Geschichtslüge, die verhängnisvollste, die jemals erfunden worden ist". In der Nacht vom 18. zum 19. Juni 1919 stimmte das Reichskabinett unter Vorsitz des Reichspräsidenten Friedrich Ebert über das alliierte Diktat mit Stimmengleichheit von 7:7 ab. Die Regierung Scheidemann trat zurück. Die Deutsche Demokratische Partei verließ aus Protest gegen das Diktat die Koalitionsregierung. Die neue Reichsregierung Gustav Bauer (SPD) erklärte sich am 22. Juni zur Annahme der Friedensbedingungen bereit. Sie verweigerte jedoch weiterhin die Anerkennung der im berüchtigten Vertragsartikel 231 festgeschriebenen deutschen Kriegsschuld und die Strafverfolgung des deutschen Kaisers und einiger hundert führender deutscher Politiker. Sie lehnte nicht zuletzt jede Verantwortung für die Folgen ab, die aus der Undurchführbarkeit des Vertrags erwuchsen und machte auf die Schwierigkeiten aufmerksam, die sich aus dem Widerstand der Bevölkerung gegen eine Abtrennung der Ostgebiete (Westpreußen, "Korridor", Oberschlesien) ergeben konnten. Tatsächlich hat sie dadurch eine Vertragsänderung erreicht, die diese Gebiete Volksabstimmungen unterwarf, durch die wesentliche Teile des südlichen Ostpreußen und Oberschlesiens Deutschland erhalten blieben. Ebenso wurde die endgültige Abtretung des Saarlandes an Frankreich verhindert durch dessen Rückkehr nach 15 Jahren nach einer Volksabstimmung (die dann auch 1935 erfolgte). Insbesondere hat die Regierung Bauer die Unfreiwilligkeit ihrer von einem Ultimatum der Alliierten erzwungenen Unterschrift betont: "Durch einen Gewaltakt wird die Ehre des deutschen Volkes nicht berührt. Sie nach außen hin zu verteidigen, fehlt dem deutschen Volk nach den entsetzlichen Leiden der letzten Jahre jedes Mittel. Der übermächtigen Gewalt weichend und ohne ihre Auffassung über die unerhörte Ungerechtigkeit der Friedensbedingungen aufzugeben, erklärt deshalb die Regierung der deutschen Republik, daß sie bereit ist, die von den alliierten und assoziierten Regierungen auferlegten Friedensbedingungen anzunehmen und zu unterzeichnen." Das war nicht nur eine würdige Verteidigung der deutschen Ehre, sondern enthielt auch die Ankündigung des Willens zur Revision des Diktatfriedens zum frühest möglichen Zeitpunkt. Weimarer Revisionspolitik blieb ohne Erfolg Die bittere Entscheidung stand unter dem Druck des auf wenige Tage bemessenen alliierten Ultimatums, das die Wiederaufnahme der Kampfhandlungen androhte. Einen wesentlichen Ausschlag gab das militärische Votum des Generals Wilhelm Groener in Anbetracht der verzweifelten Gesamtlage des Reiches: des gleichzeitigen Bürgerkrieges im Inneren, der Bedrohung durch den Vormarsch der Bolschewiki im Baltikum und der Gefahr der Abspaltung Süddeutschlands vom Reich, vor allem Bayerns, durch den zu erwartenden alliierten Vormarsch durch das Maintal, der nach Groener erst an der Elbe aufgehalten werden konnte. Der Preis eines militärischen Widerstandes in dieser Lage wäre der Verlust der Reichseinheit gewesen, der wahrscheinlich schon damals die deutsche Teilung an der Elbe von 1945 vorweggenommen hätte. Die Ironie der Geschichte war es, daß der Diktatfrieden dem alten monarchischen und "militaristischen" Deutschland galt, jedoch die junge Republik mit einer Hypothek belastete, der sie nach vierzehn Jahren erlag. Noch vor der Vertragsunterzeichnung hatte der britische Premierminister David Lloyd George in seinem weitblickenden Fontainebleau-Memorandum vom März 1919 davor gewarnt, durch den Friedensschluß Ursachen entstehen zu lassen, "die nach 30 Jahren einen neuen Ausbruch rechtfertigen". Und kein Geringerer als der bekannte englische Nationalökonom John Maynard Keynes wandte sich Ende 1919 in einer bahnbrechenden Anklage "Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages" an die Weltöffentlichkeit. Sie enthielt nicht nur eine vernichtende Kritik der ökonomischen Unvernunft der Reparationsbestimmungen, sondern überhaupt des "karthagischen Friedens" Clemenceaus. Dieser Pseudofrieden werde Mitteleuropa "durch Erniedrigung und Hunger zur Verzweiflung und in die Arme des Kommunismus treiben" und dann auch den Rest Europas in den Abgrund führen. Tatsächlich schuf dieser "Frieden" Fakten, die die weitere Entwicklung entscheidend bestimmen sollten. Aus den wahnsinnigen Reparationsforderungen erwuchs die Inflation zwischen 1922 und 1924, die den deutschen Mittelstand ruinierte und dadurch wesentliche Voraussetzungen für die politische Radikalisierung schuf. Diese und die Weltwirtschaftskrise samt Massenarbeitslosigkeit ab 1929/30 gehörten zu den unmittelbaren Voraussetzungen für Hitlers Machtergreifung. Es gehört jedoch zu einer differenzierenden Geschichtsbetrachtung, festzuhalten, daß die Ablehnung des Diktats in einem breiten Konsens von der deutschnationalen Rechten bis zur Sozialdemokratie reichte, die damit einmal mehr ihren Patriotismus bewies. Mit Recht hat Karl Dietrich Bracher diese breite Ablehnung von Versailles und den damit verbundenen Willen zur Revision den einzigen Konsens der Weimarer Republik genannt. Gustav Stresemann und Heinrich Brüning haben diese Revisionspolitik mit Augenmaß und einigem Erfolg betrieben. Hätten die Sieger von 1918/19 ihnen die Konzessionen gemacht, die sie bald darauf Hitler unter dessen erpresserischem Druck machten, wäre uns jener wahrscheinlich erspart geblieben.   Prof. Dr. Klaus Hornung, Jahrgang 1927, lehrte Politikwissenschaft an der Universität Hohenheim. Er ist Verfasser zahlreicher Bücher zur politischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, u. a. "Das totalitäre Zeitalter – Bilanz des 20. Jahrhunderts" (1993).


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